Seit einigen Tagen wird über eine kuriose Szene diskutiert die sich in den Schlusssekunden der regulären Spielzeit der Partie KAC vs. EC Dornbirn am vergangenen Sonntag ereignete. Die Vorarlberger Tageszeitung „Neue“ berichtete über diese Situation ausführlich. Doch gibt es dbzgl. einige Unklarheiten und nicht zutreffende Darstellungen die wir nun einerseits aus Expertensicht berichtigen wollen und damit andererseits einen auf unserer Plattform erschienen Artikel revidieren möchten.
„Neue“ berichtete am Dienstag unter Anderem davon dass der EC Dornbirn wegen einer Fehlentscheidung bei der Liga Protest einreichte. Grund dafür war, dass ein Offizieller vor der Schlusssirene einen Werbejingle einspielte, der einen Pfiff beinhaltete und der damit eine Spielunterbrechung mit sich zog. „Neue“ berichtete unter Anderem (und fälschlicherweise) dass das Spiel in der neutralen Zone hätte fortgesetzt werden müssen.
Am gestrigen Donnerstag erschien dann in besagtem Medium ein neuerlicher Artikel zu diesem Thema, wo unter Anderem für das Auslösen des Jingles und der folgenden Spielunterbrechung eine „Spielverzögerung“ als Tatbestand angeführt wurde und andere Vorwürfe bezüglich Fehentscheidungen gegenüber den Schiedsrichtern verlautbart wurden.
Auch wir von Hockey-News ließen uns von dieser Darstellung in die Irre führen, räumen ein und entschuldigen uns dafür dass wir es in Bezug darauf verabsäumt haben unserer journalistischen Sorgfaltspflicht in Form einer detaillierten Eigenrecherche nachzukommen und auf Grund dessen einen Sachverhalt kommuniziert haben (Artikellink) der nicht den Tatsachen entspricht.
Um dies zu korrigieren haben wir daraufhin den ehemaligen EBEL-Referee und Regelexperten Georg Veit konsultiert und ihn gebeten den tatsächlichen Sachverhalt darzustellen und mit den entsprechenden Regeln zu belegen.
Folgend seine Darstellung des Sachverhalts und die damit verbundene Aufklärung der Situation:
Bezugnehmend auf den oben genannten Artikel möchte ich im Sinne des Eishockeysports einige Dinge richtig stellen. Die erzählte Geschichte wirkt an einigen Stellen schlüssig, die Belege dafür lassen aber zu wünschen übrig.
Zu den Vorgängen bezüglich des eingespielten Werbespots möchte ich grundsätzlich keine Stellung nehmen, da dies den zuständigen Stellen obliegt und ich hier nicht vorgreifen will. Es sei aber erwähnt, dass man durchaus auch von einem unglücklichen Missgeschick ausgehen kann, was aber naturgemäß den Spannungsgehalt der Berichterstattung auf ein Minimum reduziert. Die schönere und aufregendere Story bietet ein anderes Narrativ.
In besagtem Spiel kam es wie bereits mehrfach erwähnt zu dem vieldiskutierten Unterbruch. Der Autor des Artikels, der verschiedene Stellen des EBEL Gamebooks zitiert, hat insofern recht, als die Vorgangsweise des KAC Kampfgerichts gegen die EBEL Bestimmungen verstößt und ergo mit Konsequenzen belegt werden wird.
Ich möchte im Folgenden einige Stellen des besagten Artikels (erschienen am 17.1.2019 in „Neue“) zitieren und erklären.
„Wie die Aufnahmen belegen, hielt der vom Gastgeber gestellte Zeitnehmer sofort die Uhr an. Obwohl der Schiedsrichter die Partie nicht unterbrochen hatte. Was aufzeigt, das einerseits der Pfiff des unerlaubt abgespielten Werbespots den Spielfluss zerstörte und andererseits der Zeitnehmer, der als Offizieller zu werten ist, das Spiel eigenmächtig unterbrach. … Im Zusammenhang wird klar, dass es sich beim Anhalten der Uhr um eine Spielverzögerung gehandelt hat. Ob eine solche … mit einer Strafe zu ahnden ist, liegt wohl … im Ermessen des Schiedsrichters.“
Die Erklärung dieser Situation dürfte so einfach wie harmlos sein: die Zeitnehmung aktivierte (versehentlich oder nicht) die Werbedurchsage, spätestens der Pfiff am Ende derselben dürfte den Spieler T. Hundertpfund des KAC hinter dem Tor des Gegners so verwirrt haben, dass er selbst das Spiel unterbrach, indem er nicht mehr weiterspielte. Im Allgemeinen handhabt man als Schiedsrichter eine unübliche Situation wie diese üblicherweise so, dass das Spiel unterbrochen wird, falls dies nicht von anderer Seite geschieht. Ich gehe davon aus, dass die Zeitnehmung den eigenen Fehler bemerkte, aufgrund des Spielstreikes Hundertpfunds die Uhr anhielt. Man kann also tatsächlich davon ausgehen, dass eine „Spielverzögerung“ vorlag, naja, weil das Spiel eben verzögert wurde. KEINESFALLS handelt es sich um einen, durch die Schiedsrichter mit einer Strafe, die die Spielstärke auf dem Eis verändert, zu ahnenden Tatbestand. Dieser wäre auch durch KEINE Version des IIHF Regelbuchs gedeckt, selbst wenn man diesbezüglich in einem aktuellen nachläse. Die Folge für das Kampfgericht ist ein Bericht der Schiedsrichter an den Verband bzw. die Liga, um weitere Konsequenzen setzen zu können.
Der Bericht geht folgendermaßen weiter…
„Punkt 608 h des internationalen Regelbuchs besagt jedoch zur Handhabe von Spielverzögerungen eindeutig: Bei einem Verstoß gegen diese Regel muss der Einwurf am nächsten Anspielpunkt in der Verteidigungszone der sich verfehlenden Mannschaft erfolgen.“
Vergeblich suchte ich im Regelbuch lange Zeit nach Regel 608 h, ich befragte Kollegen, wer die Regel kenne, durchforstete das aktuelle Regelbuch und das Internet. Allein fündig wurde ich nicht. Im aktuellen Regelbuch (2018-22) werden nur Regeln 1 bis 226 angeführt. Ich überprüfte ob es sich um einen Tippfehler handeln könnte und suchte nach den Regeln 108 h und 208 h, auch diese existieren nicht. Bis ich die Lösung des Problems erkannte. Um einen 2019 stattfindendes Ereignis zu argumentieren wurde als Quelle das Regelbuch der Jahre 2002 bis 2006 (!) zur Beweisführung herangezogen. Bereits das Regelbuch 2006 bis 2010 listet das Vergehen „Spielverzögerung“ unter Regel 554 auf. Das aktuelle Regelbuch ist mittlerweile die VIERTE neue Version, in welcher dieser Paragraph dementsprechend auch nicht mehr zu finden ist. Der vom Autor zitierte Regelparagraph hatte dieselbe Bedeutung für JEDE Strafe, die im Spielfluss ausgesprochen wird. Ergo ist die Erwähnung bezüglich der Spielverzögerung, die in diesem Fall nach Maßstäben des Regelwerks ohnehin nicht stattgefunden hat, müßig. Was dieser über die journalistische Sorgfalt aussagt, soll jeder Leser selbst beurteilen.
Damit ist klar, dass wie bereits in meinem Blog erwähnt, Regel 52 I (des AKTUELLEN Regelwerks 2018 bis 2022) zur Anwendung kommt, den ich wie folgt zitiere:
REGEL 52–BESTIMMUNG DES ANSPIELPUNKTES – ALLGEMEIN
I. Wird das Spiel aus einem Grund unterbrochen, der nachfolgend nicht näher ausgeführt ist, erfolgt das nachfolgende Anspiel am nächstgelegenen Anspielpunkt in der Zone, in welcher der Puck zuletzt gespielt wurde.“
Weiter geht es im Artikel mit folgender Bemerkung:
„Pikant ist auch, dass beim KAC vor der Spielverzögerung weder Thomas Koch noch Nick Petersen auf dem Eis waren. Koch gewann vor dem 6-6 das Bully, Petersen leitete die Scheibe zum Torschützen Adam Comrie weiter.“
Was im Artikel mit dieser Aussage belegt werden soll, lässt man im eigenen Bericht offen. Jeder Eishockeyfan weiß, dass Spieler nur nach einem Icing nicht gewechselt werden dürfen. Dass nach einer, ohnehin im Sinne der Regeln nicht erfolgten, Spielverzögerung, die Spieler nicht wechseln dürfen steht nicht einmal im Regelbuch des Jahres 2002. Ich kenne eine derartige Regel in meinen 28 Jahren als Referee nicht. Die Begründung und einen Beleg dafür, warum dies „pikant“ sein sollte, lässt der Bericht gänzlich offen.
Ich darf noch die persönliche Vermutung anstellen, dass die Unterbrechung den Spielern des KAC mehr geschadet hat als den Spielern des DEC, da sie ab dem Zeitpunkt der Sirene (0.19) bis zur Unterbrechung durch Hundertpfund (0.11) bereits nicht mehr voll bei der Sache gewesen sein können. Selbst wenn dem aber so gewesen wäre, erschließt sich mir der Vorteil für den KAC nicht, wenn der Spielfluss der Zeitnehmung absichtlich unterbrochen worden wäre, just in dem Moment, in dem der KAC im Angriffswirbel steckte. Die spricht eindeutig für einen unglücklichen Fehler des Kampfgerichts, hierbei handelt es sich aber nur um eine Meinung meinerseits.
Abschließend möchte ich bemerken, dass viele Eishockeyfans insofern vollkommen Recht haben, dass diese Situation eine Kuriosität im professionellen Eishockey darstellt. Es stehen auch Tür und Tor sperrangelweit offen, um sich in Spekulationen zu ergießen. ABER bei aller Emotion und allem Austausch muss es möglich sein, wahrheitsgemäß zu diskutieren, berichten und recherchieren.
Anbei die Links zu den jeweils erwähnten Ausgaben der IIHF Regeln fürs Selbststudium:
2014-2018 (in englischer Sprache)
(Foto: Kuess)
